Die drei Ich-Geschichten

Die drei Ich-Geschichten sind kein Märchen

Lesedauer: 5 Minuten

Jede Person erzählt drei Geschichten, ob sie will oder nicht, ob bewusst oder unbewusst. Diesem Umstand solltest du dir innerhalb eines Teams bewusst sein. Sonst läufst du Gefahr, dass ein Kauderwelsch entsteht, was zwangsläufig zu Konflikten führt. Um dies zu umgehen, führt der Weg zum Ziel, wie bereits so oft beschrieben, über das Spiel.

Entstehen während Teamarbeiten bei den Mitarbeitenden Blockaden jeglicher Art, stagniert das Projekt früher oder später. Sofort werden neue Teams gebildet oder neue Projekte gestartet. Meistens ohne die nötige Reflexion, was bei der letzten Teamarbeit nicht funktioniert hat. Schliesslich ist es zu mühsam den Grund für die fehlgeschlagene Zusammenarbeit zu suchen. «Es waren einfach die falschen Personen im Team» oder «Das Projekt war von Anfang an zum Scheitern verurteilt» hörst du dann oft von den verantwortlichen Personen. Das ist schade, denn so gehen sehr viele Ressourcen verloren, ohne dass man den gewünschten Output erreicht. Du solltest dich besser damit beschäftigen, herauszufinden warum die Blockaden überhaupt erst entstanden sind. Meine Praxiserfahrung zeigt, dass Blockaden oft eintreten, weil unendlich viele Geschichten im Raum sind und man dadurch einander nicht mehr verstehen kann. Erinnere dich an den Turmbau von Babel.

Pro Person drei Geschichten

Jede Person, die in einem Unternehmen beschäftigt ist, hat verschiedene Interessen. Sie trägt ihre persönlichen, beruflichen und von extern vorgegebenen unternehmerischen Interessen mit sich mit.

  • Unternehmensgeschichte

    Jedes Unternehmen hat seine eigene Geschichte. Gemeint sind Werte, Verhaltensweisen, Strategien und Ziele. Die Unternehmensgeschichte gibt vor, wohin man will und wie man dies erreichen will, häufig niedergeschrieben in Vision und Mission. Ein*e Mitarbeitende*r von Coca-Cola hat ganz andere Leitplanken und Strukturen als ein*e Mitarbeitende*r eines Start-ups. Ein Familienunternehmen erzählt eine andere Geschichte als ein staatlich finanzierter Grosskonzern.

  • Jobgeschichte

    Im Gegensatz zur Unternehmensgeschichte, die vom Unternehmen, in dem du arbeitest, geprägt und definiert wird, steht die Jobgeschichte, die jede*r für sich selbst bestimmt. Du hast ein Bild von dir und deinem Verhalten in der beruflichen Rolle. Dieses Verhalten ist abhängig von der Jobfunktion, dem Jobbeschrieb und deinen beruflichen Interessen. Du musst und willst dein «Gärtli» behüten und beschützen und deine Position innerhalb des Unternehmens stärken. So beeinflusst die persönliche Jobgeschichte, ob bewusst oder unbewusst, bei einer Teamarbeit jede Aussage und Entscheidung. Was willst du preisgeben? Womit kannst du dir einen Informationsvorteil verschaffen? Wo ist der Weg mit dem geringsten Widerstand? Logisch, dass solche Fragen bei jeder Person zu anderen Verhaltensweisen führen. Diese tragen nicht zur eigentlichen Problemlösung bei, sondern sind rein egoistischer Natur.

  • Persönlichkeitsgeschichte

    Die dritte Geschichte, die jede*r Mitarbeitende in sich trägt, ist die Persönlichkeitsgeschichte. Diese beinhaltet das wahre und ungeschminkte Leben einer Person und zeigt jemanden genauso, wie er oder sie wirklich ist. Mit allen Ecken und Kanten sowie Stärken und Schwächen. Diese Geschichte fasst das gesamte Leben von der Vergangenheit, über die Gegenwart bis hin zur Zukunft einer Person zusammen. Ergänzt mit dem individuellen Charakter und den persönlichen Neigungen und Vorlieben kann diese Geschichte in sich schon sehr explosiv sein. Somit liegt es auf der Hand, dass du während einer Teamarbeit gewisse Aspekte deiner Persönlichkeitsgeschichte verstecken, schützen oder überspielen möchtest. Dies kann wiederum zu bestimmten Handlungen führen, die für die Teamarbeit nicht förderlich sind.

 

 

Durch spielen das Kauderwelsch entwirren

Um Blockaden in Teams zu vermeiden, solltest du also wissen, dass jeder Mensch die erwähnten drei Geschichten in sich trägt und diese auch «mit zur Arbeit nimmt». Das nachfolgende einfache Rechenbeispiel zeigt die damit verbundene Problematik auf: Nehmen wir an, jede Geschichte ist eine Sprache. Wenn drei Personen an einem Projekt arbeiten, haben wir also bereits drei unterschiedliche Sprachen im Raum. Und wenn wir jetzt davon ausgehen, dass jede Person nochmals drei unterschiedliche Geschichten respektive Sprachen in sich trägt, sind wir schon bei neun Sprachen, was zwangsläufig zu einem grossen Kauderwelsch führt. Ziel muss es also sein, dieses Sprachwirrwarr zu Beginn einer Teamarbeit zu entwirren und zu neutralisieren. Seit einigen Jahren arbeite ich als Playful Moderatorin und führe durch Workshops. In dieser Zeit begegnete ich unzähligen Geschichten. Meine Aufgabe ist es jeweils, die drei Geschichten jeder Person innerhalb kürzester Zeit so zu neutralisieren, dass sich alle auf Augenhöhe und ohne eigene Interessenskonflikte begegnen können. Um dies zu erreichen, bediene ich mich dem Spiel. Eins, das ich häufig anwende, trägt den Namen «A day in my Life». Dabei müssen sich die Teilnehmenden in eine fremde Person hineinversetzen und einen normalen Alltag dieser Person durchleben. Bei «A day in my Life» handelt es sich um eine Art Überlistungsspiel. Durch den Umstand, dass du dich in eine fremde, neutrale Person versetzt, verlässt du unbewusst deine persönlichen drei Geschichten.

Die beste Geschichte schreibt das Team

Grossartig und spannend an solchen Spielen ist, dass alle Teilnehmenden zu ihrer Höchstform auflaufen und der Effekt auch nach dem Spiel anhält. Es ergibt sich quasi eine neue einheitliche Geschichte: diejenige des Teams. Für mich ist es immer wieder eine interessante Herausforderung, alle drei Geschichten der Teilnehmenden so zu neutralisieren, damit alle das gleiche Ziel verfolgen: die Herausforderung gemeinsam anzugehen und zu lösen. Aus diesem Grund spielen wir in den Workshops und arbeiten mit dem Playful Work Ansatz. Das Spiel fördert die Gruppendynamik und das Wirgefühl. Der durch das Spiel entstehende Flow sorgt dafür, dass alle Teilnehmenden ihre drei Geschichte verlassen. Am Ende befinden sich alle auf Augenhöhe, also in einer gemeinsamen Geschichte und können lösungsorientiert an einer Herausforderung arbeiten.

Quellen

  • Luft, J. & Ingham, H. (1955). The Johari window, a graphic model of interpersonal awareness. Los Angeles: UCLA