Märchen

Held*innen, Märchen und Werbespots

Lesedauer: 6 Minuten

Als Kind gehörten Märchen zur Tagesordnung. Wir liebten die darin vorkommenden Held*innen, fieberten mit ihnen mit und wollten so sein wie sie. Viele Unternehmen machen sich bei der Vermarktung ihrer Produkte und Dienstleistungen genau das zunutze. Ihre Werbespots sind so konzipiert, dass sie in uns die Emotionen aus der Kindheit wecken. Können wir also sagen, dass Werbespots die Märchen der heutigen Zeit sind?

Als Kind wird uns fast täglich eine Geschichte vorgelesen oder erzählt. Wenn du meinst bei dir sei es nicht so gewesen, denk zurück an die Gute-Nacht-Geschichte vor dem zu Bett gehen. Und spätestens in deinen Träumen bist du in die Märchen- oder eben Geschichtenwelt eingetaucht. Wir haben diese Erzählungen als Kind geliebt. Sogar so sehr, dass man uns immer und immer wieder die gleiche Geschichte erzählen konnte, ohne dass uns langweilig wurde.

Warum liebten wir diese Geschichten so sehr?

Im Kindesalter kennen wir primär nur die positiven Seiten des Lebens. Wir fantasieren in der Märchenwelt und spielen die darin vorkommenden Held*innen selbst nach. Sie geben uns als Kind, und ebenso als Erwachsene, ein grossartiges Gefühl. Die Held*innen in den Märchen haben etwas Übermenschliches an sich. Es entsteht der Eindruck, dass nichts auf der Welt unmöglich ist. Ähnlich ist es beim Träumen. Es passiert etwas, das gar nicht real ist und doch erleben wir es. Personen können beispielsweise in bestimmten Situationen ausgewechselt werden. Du als Geschichtenerzähler*in oder Träumer*in bestimmst den Ausgang der Geschichte. Im echten Leben ist es leider nicht so einfach. Dort sind wir oftmals gar nicht die Held*innen, sondern die Mitwirkenden oder Statist*innen.

Als Kind bewegst du dich in zwei Welten: in der erzählten Welt, in der die Held*innen in deiner Erzählung leben, und dem Ort des Erzählens, an dem du deine Zuhörer*innen, Gspändli und Eltern beeindrucken, unterhalten oder überzeugen willst. Erinnere dich an folgende Situation zurück: Wie oft wolltest du zu Weihnachten ein Geschenk und deine Eltern sagten nein? Es sei nicht nötig, es sei zu teuer oder du hättest bereits so etwas Ähnliches? Du bist dann in deine Kreativität abgetaucht. Du hast dir Geschichten ausgedacht, in denen du dein Geschenk schlussendlich doch bekommen hast. Das sind emotional gesteuerte Geschichten. Ich bin mir sicher, dir kommen jetzt so einige in den Sinn.

Gemäss dem deutschen Autor Johannes Merkel gehören spielen, erzählen und fantasieren zu den kreativen menschlichen Fähigkeiten. Die Kreativität entsteht in unserem Kopf, wenn wir das Erzählte in ein Bild, wenn nicht sogar in einen Film, umwandeln. Denn was nützt mir eine Geschichte, wenn ich dazu nicht das nötige Bildmaterial habe? Bei Filmen müssen wir unseren Kopf nicht mehr so anstrengen, um ein passendes Bild zur Geschichte zu kreieren. Wir sehen es bereits.

Es war einmal vor langer Zeit…

Im Prinzip sind Geschichten und Märchen wie ein Baukastensystem konstruiert. Jedes Märchen hat einen Anfang, Mittelteil und Schluss. Das Wichtigste ist hierbei immer der Schluss oder anders ausgedrückt das Happy End. Die Erzähler*in kann frei entscheiden, wann sie welche Figur oder Wendung in die Geschichte einbaut. Sie kann sogar eine komplett neue Handlung entstehen lassen. Aus dem «Baukasten» kann die Erzähler*in die Teile herausnehmen, die sie für die Erzählung benutzen möchte. Gewiss ist jedoch, dass es immer eine Held*in geben wird. Diese wird am Anfang bestimmt. Im Verlauf der Geschichte wird sie in ein Ereignis oder eine Gefahrensituation verwickelt. Mit Geschicklichkeit oder List soll sie sich aus der unangenehmen Lage befreien. Ohne fremde Hilfe wird das aber nicht gelingen. Entweder kommt eine Fee, ein Genie oder ein Tier zu Hilfe. Nur so kommt die Held*in schlussendlich ans Ziel und es kommt zum allseits bekannten Happy End. Und wenn sie nicht gestorben sind…

Was hat das Geschriebene nun mit der Werbung zu tun?

Schau dir den Aufbau von Werbespots an. Sie basieren fast immer 1:1 auf diesem Baukastensystem. Der Unterschied ist, dass die Absender*in uns mit den Geschichten in der Form von Werbesports dazu bewegen will, das beworbene Produkt zu kaufen.

Und die Moral von der Geschichte

Nach jedem Märchen hatten wir ein gutes Gefühl, weil die Held*in die böse Hexe oder das abscheuliche Monster besiegt hat. Es gab immer ein Happy End. Schaffst du es dieses gute Gefühl und die Emotionen, die du als Kind beim Geschichtenerzählen gefühlt hast, in deine Kommunikation zu integrieren, endet jeder Tag für deine Kund*innen mit einem Happy End. Was gibt es Schöneres, als für deine Kund*innen der Ritter in strahlender Rüstung oder die gute Fee zu sein?

Beispiele:

  • Meister Proper

    Er erinnert uns an eine Comicfigur aus unserer Kindheit. Er hat sich äusserlich in den letzten 60 Jahren fast nicht verändert. Ab und zu gab es ein kleines Redesign, das aber kaum zu erkennen ist. Wir haben Vertrauen in das Produkt, weil es uns Beständigkeit suggeriert. Meister Proper verspricht uns, dass wir mit seinem Produkt den Hausputz einfacher und schneller erledigen können. So bleibt mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben. Und wer möchte sich nicht gerne im blitzblanken Boden spiegeln können?

    Held: Meister Proper
    Happy End: Dank Meister Proper ist meine Wohnung im Nu blitzblank geputzt.

  • Lancôme

    So riechen wie sein Vorbild, sich so fühlen wie sein Vorbild, nie altern und wunderschön sein. Wer möchte das nicht? Die beiden Schauspielerinnen Zendaya und Julia Roberts möchten uns ein schön designtes Parfüm von Lancôme verkaufen. Die Musik im Hintergrund unterstreicht die bewegten Bilder. Wer kann da nein sagen? Eine solche Werbung verzaubert uns und macht neugierig. Jeder Mensch hat das Bedürfnis gut zu riechen.

    Heldinnen: Zendaya und Julia Roberts
    Happy End: Mit Parfüms von Lancôme fühle ich mich jederzeit wie ein Hollywood-Star.

  • Adidas

    Adidas verspricht uns seit Jahren zwei Dinge: Exklusivität und Begeisterung. Durch den bekannten Profifussballer Lionel Messi wurde die Marke Adidas zum absoluten Renner bei Sportler*innen. Die Menschen denken, dass sie mit der Ausrüstung von Messi unbesiegbar und schnell sind. Welche Fussballliebhaber*in möchte diese Produkte dann nicht gleich kaufen?

    Held: Lionel Messi
    Happy End: Adidas sorgt dafür, dass ich die gleichen sportlichen Höchstleistungen erreiche, wie ein Profisportler.

  • Coca-Cola

    Jedes Jahr in der Weihnachtszeit sehen wir die berühmte Coca-Cola Werbung mit dem Weihnachtsmann und seinem Lastwagen, die uns an die Märchen aus unserer Kindheit erinnert. Du kommst nach einem langen Arbeitstag nach Hause und sehnst dich nach einem Durstlöscher. Was eignet sich da besser als Coca-Cola?

    Held*innen: Der Weihnachtsmann mit seinem Lastwagen und die Testimonials (z. B. Selena Gomez, Stress und Xherdan Shaqiri)
    Happy End: Coca-Cola begleitet mich auf der ganzen Welt.

  • Douglas

    Der perfekte Lippenstift mit keinerlei Rückständen und keinem Farbverlust. Dieses Versprechen gibt uns Douglas in der Werbung. Wir sind begeistert. Wer möchte nicht aussehen wie Topmodel Cara Delevingne? Wenn wir den Lippenstift auftragen, fühlen wir Cara an unseren Lippen.

    Heldin: Cara Delevingne
    Happy End: Der Lippenstift von Douglas verleiht mir die Anziehungskraft eines Topmodels.